Max Gerstl über den Bordeaux Jahrgang 2023.

Wir waren wieder – wie jeden Frühling – zwei Wochen in Bordeaux, um rund 600 neue Weine mit Jahrgang 2023 direkt vor Ort zu degustieren.

rotwein

2023 war ein Jahr, das den Winzern alles abverlangte. Im April der Kampf gegen den Frost, danach drohten Krankheiten durch die hohe Feuchtigkeit, später war die Trockenheit extrem, dann gab es Sturzregen und Angst vor Fäulnis. Das alles war aber total unterschiedlich – nicht nur von Region zu Region, sondern oft sogar von Weingut zu Weingut. 

So wurden in einem Weingut im Juni 50mm Regen gemessen und in einem nur 400m entfernten Château 100mm. 2023 ist kein Jahr, das man aufgrund von Durchschnittswerten beurteilen kann. Es macht eigentlich fast keinen Sinn, einen Jahrgangsbericht über Bordeaux 2023 zu schreiben. Man müsste für jedes Weingut einen separaten verfassen. 

So unterschiedlich wie der Wetterverlauf war am Schluss auch die Ernte. Allein die Rotweinernte erstreckte sich über mehr als einen Monat. Einige Cabernets wurden am 18. September geerntet, andere am 2. Oktober – und das notabene im gleichen Weingut! Mehr denn je musste für jede Parzelle der richtige Erntezeitpunkt gefunden werden. Kurz und gut: Die Weingüter haben die grossen Herausforderungen zumeist mit Bravour gemeistert.

Für uns ist 2023 einer der spannendsten Jahrgänge. Wir mussten nämlich jeden Wein für sich selber beurteilen und konnten uns auf kein Jahrgangsmerkmal fokussieren.  

Beschwingte 2023er-Bordeaux mit viel Frische und herrlichem Trinkgenuss.
Beschwingte 2023er-Bordeaux mit viel Frische und herrlichem Trinkgenuss.

Es gibt dennoch Gemeinsamkeiten, zumindest Merkmale, die man in der Mehrzahl der Weine findet. Zuerst einmal die hohe Qualität, qualitativ kann man sicher von einem grossen Jahrgang sprechen. Viele 2023er sind eine Spur schlanker als die 20er oder 22er, ohne deshalb weniger komplex oder weniger spannend zu sein. Das Trinkvergnügen wird dadurch in keiner Weise geschmälert. Es gibt aber auch Weine, die stilistisch den 20ern und 22ern sehr ähnlich sind. Am meisten staunen wir über die ausgeglichen hohe Qualität von mindestens 80% der Weine. Wir haben im Vorfeld höhere qualitative Unterschiede vermutet. Wenn wir nach möglichst vielen Parallelen mit einem der letzten Jahrgänge suchen, denken wir am ehesten an 2019. 

Nachdem wir während zwei Wochen rund 600 Weine vor Ort verkostet haben, können wir jetzt Bilanz ziehen. Wir stufen den Jahrgang 2023 definitiv als grossen Jahrgang ein. Dafür gibt es mehrere Gründe. So sind ein paar Weine sogar noch besser als der jeweilige 2022er. Bei vielen Weinen ist es Geschmackssache, was man lieber mag. Nicht wenige Weinfreunde werden bei ähnlicher Konzentration und Komplexität den etwas schlankeren und kühleren 2023er gegenüber dem etwas mächtigeren 2022er bevorzugen. 

Max Gerstl

«Für uns ist es einer der spannendsten Jahrgänge. Wir stufen 2023 definitiv als grossen Jahrgang ein.»

Max Gerstl

Insgesamt sind die Qualitäten wesentlich homogener als ursprünglich vermutet. Beim Jahrgang 2023 sind ca. 70% der Weine, die wir verkostet haben, grosse Weine, die wir mit 18/20 Punkten oder höher bewerten. Bei 2022 waren es eher 80%. Das ist aber insofern unwesentlich, als Weine unter 18 Punkten gar nicht in unser Sortiment kommen. Zudem gibt es auch in der günstigen Preisklasse zwischen Fr. 10.– und 25.– immer noch eine wunderbare Auswahl.

Die überragenden Weine des Jahrgangs 2023, die nach unserer Meinung mit 20+/20 Punkten die 20-Punkte-Skala sprengen: Beauséjour Duffau-Lagarosse, Palmer, Le Pin.

20/20-Legenden gibt es ähnlich viele wie 2022. Das liegt ganz einfach in der Natur der Sache, die Weine sind heute ganz klar besser als früher. Mit welcher Akribie die Weingüter heute arbeiten, ist in keiner Art und Weise mehr mit früher vergleichbar.

Wir können es nicht oft genug betonen: Weinlegenden wie den 45er Mouton-Rothschild, den 47er Cheval-Blanc oder die grossen 61er wie Cheval-Blanc und Haut-Brion gibt es heute zuhauf. Wir sind sicher, dass alle 2023er, die wir mit 20 Punkten bewerten, in 30 Jahren mindestens gleich gut oder besser schmecken als heute etwa ein Montrose 1990 oder ein Pichon-Lalande 1982.

Max Gerstl

Verwaltungsrat / Partner

Max besorgt den Einkauf bei den Weingütern und schildert seine Erlebnisse/Eindrücke voller Leidenschaft in periodisch erscheinenden Mailings. Die grossen Weine Europas und die schönsten Trouvaillen sollen auf dem direktesten Weg vom Weingut in die Keller unserer Kundschaft.