Winzermagier Dominique Léandre-Chevalier produziert wieder Bordeaux!

Von Max Gerstl Das Verkünden positiver Neuigkeiten gehört zu meinen Lieblings-Beschäftigungen. Und die Nachricht, die ich Ihnen, heute verkünden darf, gehört zu den allerschönsten in meinem Leben: Der begnadete Dominique Léandre-Chevalier macht wieder Wein! Er macht sogar wieder die gleich fantastischen Bordeaux wie bis zum Jahrgang 2017! Er hat seine geliebten, einzigartigen Rebberge nach seinem bedauerlichen Konkurs zurück!

rotwein

Mein grosser Dank dafür geht an Reto Erdin. Er hat das ermöglicht. Er ist dafür ein finanzielles Abenteuer eingegangen und hat auch die Strapazen im Umgang mit den französischen Instanzen auf sich genommen. Wir wussten schon seit einiger Zeit, dass Reto dabei ist, das Weingut zu kaufen. Aber aus verständlichen Gründen wollte er nicht, dass wir etwas kommunizieren, bevor es definitiv unterschrieben und staatlich abgesegnet ist. Allzu viele dicke Steine wurden ihm zuvor in den Weg gelegt, als dass er etwas kommunizieren konnte, bevor es 100% hieb- und stichfest ist.

Aber jetzt ist es soweit! Ich habe eine wohlige Gänsehaut auf dem Rücken, während ich diese Zeilen schreibe. Es ist für mich wie ein wahr gewordenes Märchen, ein verloren geglaubtes Bijou ist zurück. Es wird sie also wiedergeben, diese unvergleichlichen Weine von Dominique, zurzeit entsteht gerade der Jahrgang 2020.

Im Moment kann ich Reto und Dominique nur alles Glück der Welt wünschen, dass ihr Projekt erfolgreich wird. Ich bin mir allerdings ziemlich sicher, dass das so sein wird. Und jetzt lasse ich doch am besten Reto seine Geschichte selber erzählen.

Reto Erdin: «Während andere Männer um 50 anfangen, Marathon zu laufen oder sich einen Oldtimer anschaffen, habe ich als Weinliebhaber am Forschungsinstitut für biologischen Landbau in Frick eine Ausbildung zum Biowinzer absolviert. Seit ich vor 25 Jahren als junger Direktionsassistent beim damaligen Bankverein den Weinkeller verwalten durfte (damals hatten Banken tatsächlich noch einen eigenen Weinkeller), ist für mich ein Bordeaux stets das Mass aller Dinge. Auch wenn ich Weine aus der ganzen Welt schätze, bin ich doch immer und immer wieder zum Schluss gekommen, dass ein reifer Bordeaux das Nonplusultra ist. Nach Abschluss der Biowinzer-Ausbildung war ich deshalb seit einigen Jahren auf der Suche nach einem eigenen Weingut in dieser Gegend.

Zu meinen absoluten Lieblingsweinen gehörten die Weine der Domaine Léandre Chevalier, die ich seit rund 10 Jahren subskribierte und die mich Jahr für Jahr aufs Neue faszinierten. Mich beeindruckten nicht nur die Präzision, mit der auf diesem Weingut gearbeitet wurde, die Arbeit mit den Pferden und der grosse Respekt vor der Natur, sondern auch der Drang von Dominique nach Perfektion und Innovation. Statt sich auf den Lorbeeren vergangener Jahre und den Ratings von Weinmagazinen auszuruhen, entwickelte sich Dominique immer weiter und versuchte sowohl im Rebberg wie auch im Keller immer noch besser zu werden. Kein Detail wurde hier dem Zufall überlassen. Auch in schwierigen Jahren wie z.B. 2013 wurden dank perfekter Arbeit in Weinberg und Keller Weine der Extraklasse abgefüllt.

Sicherlich hatte sich Dominique in den letzten Jahren auch etwas verzettelt und einzelne Weine in Kleinmengen produziert, die nie auf den Markt kamen: Sortenreine Malbec, Cabernet Franc oder Petit Verdot, zum Teil noch aus wurzelechten Reben, aber auch diverse Weissweine und Blanc de Noir von unglaublicher Qualität. Ich hatte das Glück, mehrmals solche Raritäten aus dem Privatkeller von Dominique geniessen zu dürfen und war mehr als einmal den Tränen nahe vor Begeisterung und Glücksgefühlen. Dominique versteht es auch wie kein anderer, selbst vermeintlich einfache Weine, die bereits im Frühling nach der Ernte abgefüllt und nie in Barriques ausgebaut werden, so unvergleichlich zu keltern, dass sie auch zehn, fünfzehn Jahre nach der Ernte noch herrlich schmecken.

Im Frühjahr 2019 erfuhr ich von Max Gerstl von den finanziellen Problemen von Dominique und dass sich das Weingut in gerichtlicher Liquidation befindet. Ohne einen Moment zu zögern hatte ich mir gesagt, dass dieses unvergleichliche Weingut doch irgendwie zu retten sein muss. Von Max bekam ich die Handy-Nummer von Dominique. Leider ging Dominique, müde von den Anrufen zahlreicher Journalisten, nicht ans Telefon, so dass ich eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterliess. Einige Tage später hat Dominique glücklicherweise geantwortet, worauf ich umgehend nach Bordeaux geflogen bin. Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden, und noch gleichentags hatte ich Dominique den Vorschlag gemacht, zusammen mit mir einen Neustart auf der Domaine Léandre Chevalier zu wagen, und bereits am Folgetag hatte ich den Nachlassverwalter in Libourne kontaktiert.

Ab diesem Moment wähnte ich mich allerdings nicht mehr in der Grande Nation, sondern fast etwas in einer Bananenrepublik: Wochen-, ja monatelang erhielt ich keine Antworten – weder auf meine Mails noch auf meine Briefe oder auf meine Nachrichten auf dem Anrufbeantworter.

Erst als ich ein weiteres Mal nach Bordeaux reiste und darauf bestand, den Nachlassverwalter persönlich zu sprechen, ging es langsam vorwärts. Zuerst aber wurden Dossiers vertauscht und widersprüchliche oder gar falsche Informationen verschickt, unvollständige Inventare erstellt und gar zahlreiche Landparzellen vergessen. Selbst nach der Inventarisierung verschwanden noch diverse Maschinen und Gerätschaften – obwohl von mir bereits bezahlt – aus unerklärbaren Gründen auf Nimmerwiedersehen. Aber die zuständigen Behörden quittierten dies mit vollkommener Gleichgültigkeit.

Bis dann das zuständige Gericht im Januar 2020 mein Angebot akzeptierte und die Abtretung endlich genehmigte, vergingen weitere Monate. Damit war die Übernahme aber noch lange nicht in trockenen Tüchern. Jetzt erst wurde das Dossier dem Notar übergeben. Weitere kostbare Zeit verstrich für die Abklärung von diversen gesetzlichen Vorkaufsrechten und für die Einholung unzähliger Gutachten (Energienachweis, Blei, Asbest, Überschwemmungen, Erdbeben, Steinbrüche, Elektroinstallationen, etc.). Zudem benötigte ich eine Bewirtschaftungserlaubnis, damit ich überhaupt in Frankreich einen Rebberg bewirtschaften durfte.

Die angestrebte Übernahme auf Anfang 2020 war somit illusorisch geworden. Ich stand nun vor der Wahl, die Reben ein weiteres Jahr sich selbst zu überlassen, oder das Risiko einzugehen, eine provisorische Bewirtschaftungserlaubnis zu beantragen und sämtliche für 2020 anstehenden Arbeiten auf eigenes Risiko vorzunehmen – auf die Gefahr hin, dass ich gar nie Eigentümer werde und das ganze investierte Geld verloren ist. Nachdem ich mit meiner Frau eine Flasche vom umwerfenden 2015er «33333» genossen hatte, war mir aber klar, dass ich auch dieses Wagnis eingehen musste.

Mitte März 2020 wähnte ich mich einmal mehr auf der Zielgeraden, als die Corona-Krise über die Welt hereinbrach. In Frankreich wurde gar ein sogenannter Gesundheitsnotstand verhängt, der zur Folge hatte, dass sämtliche Behördenfristen auf unbestimmte Zeit ausgesetzt wurden und weitere bange Monate folgten.

Parallel zum bürokratischen Hürdenlauf lief es im Rebberg aber äusserst erfreulich. Zwar gab es bei der Wiederaufnahme der Arbeiten im Januar 2020 einen gewissen Nachholbedarf bei verschiedenen Arbeiten, aber die Reben waren kerngesund und entwickelten sich das ganze Jahr über prächtig. So konnten wir im September bei sommerlichem Wetter eine zwar kleine, aber qualitativ hochstehende Ernte einfahren. Und dies exakt bevor am Folgetag eine längere Schlechtwetterperiode mit Dauerniederschlag und Stürmen einsetzte. Gleichzeitig mit dem Abschluss der Ernte traf dann endlich auch die langersehnte Nachricht des Notars ein: Der Vertrag konnte unterzeichnet werden!

Angesichts unserer Erfahrungen mit der ausufernden französischen Bürokratie haben wir uns dazu entschlossen, dass wir uns definitiv aus den Fängen der Pflichtenhefte der Appellationsweine und aus der Welt des starren und antiquierten Bordeaux-Klassements verabschieden und nur noch Weine mit der Herkunftsbezeichnung «Vin de France» produzieren werden. Dies ermöglicht es uns, auch weiterhin kreativ zu sein, Neues zu wagen und zu experimentieren, Versuche mit neuen Traubensorten zu machen und jedes Jahr noch ein bisschen besser zu werden. Aus demselben Grund werden wir unsere Weine in nächster Zeit auch nicht bio-zertifizieren lassen, obwohl wir bereits seit vielen Jahren nach biologischen Grundsätzen arbeiten. Unsere limitierten Mittel investieren wir im Moment lieber in den Weinberg.

Im Moment, da ich diese Zeilen schreibe, ist wieder etwas Ruhe auf der DLC eingekehrt, und der Jahrgang 2020 blubbert gemächlich in den Gärbehältern. Wir sind erleichtert und dankbar, dass nach einer langen Phase der Ungewissheit die schöne Geschichte der DLC eine genüssliche Fortsetzung haben wird.»